Kategorien
Aktuelles News

Umsatzsteuer: Sind Umsätze innerhalb der Organschaft steuerbar? – Das neue Vorabentscheidungsersuchen des BFH unter Berücksichtigung der Folgen für die Versicherungswirtschaft 1) Ausgangslage Der BFH stellte bereits mit Beschluss vom 07.05.2020 (V R 40/19) ein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH zu Fragen der umsatzsteuerlichen Organschaft, deren Beantwortung mit Spannung erwartet wurde. Im Ergebnis schien der EuGH die […]

Mai 2023

Umsatzsteuer: Sind Umsätze innerhalb der Organschaft steuerbar? – Das neue Vorabentscheidungsersuchen des BFH unter Berücksichtigung der Folgen für die Versicherungswirtschaft

1) Ausgangslage

Der BFH stellte bereits mit Beschluss vom 07.05.2020 (V R 40/19) ein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH zu Fragen der umsatzsteuerlichen Organschaft, deren Beantwortung mit Spannung erwartet wurde. Im Ergebnis schien der EuGH die deutsche Sichtweise auf die umsatzsteuerliche Organschaft als unionsrechtskonform zu bestätigen, insbesondere die Bestimmung des Organträgers zum Steuerschuldner der Gruppe (Urteil des EuGH vom 01.12.2022 – C-269/20 „S/FA T“, Parallelverfahren: Urteil vom selben Tag, Az. C-141/20 „Norddeutsche Gesellschaft für Diakonie“).

2) Neues Vorabentscheidungsersuchen

Auf Basis der Antwort des EuGH auf die vorgelegten Fragen hat der BFH nun aber Zweifel, ob die Leistungen innerhalb der Gruppe (sog. Innenumsätze) tatsächlich nicht steuerbar sind (wie bisher vom BFH angenommen), oder etwa grundsätzlich steuerbar sind, und nur bei einer Leistung an ein vorsteuerabzugsberechtigtes Gruppenmitglied keine Umsatzsteuer berechnet bzw. erhoben wird.

Diese Zweifel haben den BFH zu einem neuen Vorabentscheidungsersuchen bewogen (Beschluss vom 26.01.2023 – V R 20/22). Grund für die Zweifel des BFH ist die Äußerung des EuGH im o.g. Urteil, dass die Bestimmung des Organträgers zum einzigen Steuerpflichtigen der Gruppe voraussetzt, dass dies „nicht zur Gefahr von Steuerverlusten führt“. Der BFH stellt fest, dass die allgemeine Nichtsteuerbarkeit der Innenumsätze innerhalb der Gruppe dann zu Steuerverlusten führt, wenn das den Innenumsatz empfangende Gruppenmitglied nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt ist. Der BFH fragt deshalb nun in seinem zweiten Vorabentscheidungsersuchen, ob entgeltliche Leistungen zwischen Gruppenmitgliedern jedenfalls dann der Mehrwertsteuer unterliegen, wenn der Leistungsempfänger nicht (oder nur teilweise) zum Vorsteuerabzug berechtigt ist.

3) Unklare Rechtslage

Der EuGH war mit der Frage, ob Umsätze zwischen Gruppenmitgliedern dem Anwendungsbereich der Steuer unterliegen, noch nicht in entscheidungserheblicher Weise befasst.

Es gibt unterschiedliche Rechtsauffassungen, die Generalanwälte in ihren Schlussanträgen vertreten haben:

1. Auffassung: Es handele sich um mehrwertsteuerlich nicht existente Insichgeschäfte.

2. Auffassung: Es handele sich um steuerbare Umsätze.

So führt Generalanwältin Medina in ihren Schlussanträgen vom 13.01.2022 zu der Sache C-141/20 aus, dass es sich bei der umsatzsteuerlichen Organschaft allein um eine Verfahrensvereinfachungsregelung handele. Konkret sollten die Steuerbehörden eine einzige Umsatzsteuererklärung erhalten, in der die einzelnen Erklärungen der Steuerpflichtigen, die der Gruppe angehören, zusammengefasst werden. § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG bestimme demgegenüber, dass die Mitglieder der Gruppe generell nicht mehr als Steuerpflichtige gelten, und stünde damit im Gegensatz zu den Richtlinien-Regelungen.

4) Potenzielle Auswirkungen

Sollte der EuGH die vorgelegte Frage dahingehend beantworten, dass § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG bzw. dessen bisherige Auslegung nicht unionsrechtskonform ist, weil es im Ergebnis auf die Vorsteuerabzugsberechtigung des leistungsempfangenden Gruppenmitglieds ankommt, hätte dies erhebliche materielle Auswirkungen auf die Unternehmen einiger Branchen. Der BFH führt in seinem Vorlagebeschluss Krankenhäuser, Pflegeeinrichtungen, Versicherungsgesellschaften und Banken auf.

Insbesondere in der Versicherungswirtschaft sind auf Grund der aufsichtsrechtlichen Vorgaben zur sog. Spartentrennung häufig Konzernstrukturen mit mehreren deutschen Risikoträgern anzutreffen. Dabei sind die Mitarbeiter oftmals bei nur bei einem der Risikoträger angestellt und werden im Wege der Dienstleistung für die anderen deutschen Konzerngesellschaften tätig. Dies ist aus verwaltungsökonomischen Gründen häufig eine sinnvolle Vorgehensweise.

Nachdem derartige Dienstleistungen, wenn sie grenzüberschreitend zwischen Stammhaus und Betriebsstätte erbracht werden und zumindest Stammhaus oder Betriebsstätte Teil einer umsatzsteuerlichen Organschaft sind, lt. EuGH-Urteil vom 11.03.2021 – C-812/19 „Danske Bank“ umsatzsteuerpflichtig sind, stehen nun also auch die rein nationalen konzerninternen Dienstleistungen auf dem Prüfstand: Eine Belastung der Kosten mit 19% Umsatzsteuer auf konzerninterne Dienstleistungen dürfte Veranlassung sein, die flächendeckende Einführung von Mehrfacharbeitsverträgen zu erwägen. Bei Konzernen mit einer großen Anzahl von Rechtsträgern, die ihre Geschäfte nicht durch eigene Mitarbeiter erledigen, sollte parallel dazu eine Verschlankung der Konzernstruktur geprüft werden, um den Verwaltungsaufwand zu reduzieren und die Mehrfacharbeitsverträge nicht zu komplex werden zu lassen.

Bei Unternehmen der Versicherungswirtschaft führt dieses drohende Szenario zu besonderem Unmut: Schließlich sind die Ausgangsumsätze zwar umsatzsteuerfrei, stattdessen sind sie aber grds. mit Versicherungsteuer (ebenfalls mit 19% Regelsteuersatz) belegt. Der fehlende Vorsteuerabzug, der deshalb bereits jetzt als schwer zu rechtfertigende Benachteiligung der Branche angesehen wird, würde im Falle des Entfallens von nichtsteuerbaren Umsätzen innerhalb der umsatzsteuerlichen Organschaft besonders schmerzen.

In diesem Zusammenhang wird nun (die nicht ganz neue) Idee diskutiert, der deutsche Gesetzgeber könnte von der Versicherungsteuer gänzlich absehen und eine vergleichbare Steuerbelastung durch eine grundsätzliche Umsatzsteuerpflicht herstellen, die dann aber den Vorteil des Vorsteuerabzugs mit sich bringen würde. Derartige Änderungen deutscher Gesetze (insbes. UStG und VersStG) setzten voraus, dass sie sich im Rahmen der unionsrechtlichen Vorgaben halten (insbesondere der Mehrwertsteuersystemrichtlinie und der Solvabilitätsrichtlinie).

Gerne beraten Sie zu diesen Themen:

GANTEFÜHRER Wirtschaftsprüfer, Steuerberater, Anwälte